Wahlprognosen in der Schweiz

Nationalratswahlen 18. Oktober 2015

SRG Wahlbaromter vom 7. Oktober

Longchamps Umfrage-Ergebnisse im Adamskostüm

 

Es seien über 2000 "repräsentativ ausgesuchte" Wahlberechtigte befragt worden, verkündete das Schweizer Fernsehen am 7. Oktober in der Tagesschau. Die neuen Zahlen würden den sich seit langem abzeichnenden Rechtsrutsch bestätigen (in Klammern die Veränderungen seit 2011):

 

SVP 27.9% (+ 1.3%)
SP... 19.2% (
+ 0.5%)
FDP 16.7% (
+ 1.6%)
CVP 11.5% (
- 0.8%)
GPS ..7.2% (
- 1.2%)
GLP ..5.0% (
- 0.4%)
BDP ..4.6% (
- 0.8%)

 

FDP und SVP würden zusammen 3% zulegen, was für 6 zusätzliche (rechte) Sitze im Nationalrat spräche. Die NZZ am Sonntag war zwei Wochen vor den Wahlen noch kühner. Das Polit-Choreographen-Duo Hermann & Millic "rechnet" mit sechs zusätzliche Sitzen für die SVP , und oben drauf noch vier für die FDP. Das Wort "rechnet" kann vieles bedeuten. Wurde etwas auf eine nachvollziehbare Art berechnet? Oder handelte es sich de facto um einen Tipp - verkleidet mit demoskopischem Brimborium? Da wurden "gewichtete" (d.h. zurechtgebogene) Jekami - online - Umfragen als "Wahlsimulation" verkauft! Absurder geht es nicht mehr.

 

Einst war die NZZ in Sachen Demoskopie ziemlich verklemmt. Das mag daran gelegen haben, dass Claude Longchamp nicht unbedingt ihr politischer Busenfreund ist. Nach dem Minarett-Fiasko durfte ETH-Professor Andreas Diekmann dem Schweizer Fernsehen und seinem Zahlen-Fabrikanten Claude Longchamp 2010 in der NZZ die Leviten lesen und eine Standpredigt halten: "Die Demoskopie verletzt Informationspflichten". In einem Begleit-Kommentar doppelte Martin Senti als demoskopischer Zaungast nach und forderte tapfer "Mehr Transparenz bei Umfragen".

 

Das ist lange her. Journalisten, Politiker und viele "Polit-Wissenschafter" kommentieren die von der SRG inszenierten und finanzierten Longchamp-Umfragen und deren Trends ausführlich, lesen aber seine Umfrage-Berichte nicht. Wenn sie das Prozentrechnen noch nicht verlernt haben, wären ihnen diese Berichte längst sauer aufgestossen. Was wäre passiert, wenn diese "Leuchten" sich bis auf Seite 23 des 4. Wahlbarometerberichtes vom 7. Oktober durchgeschlagen hätten? Dann wären sie unvermittelt auf das splitternackte "Umfrage-Ergebnis" gestossen, welches Schweizer Fernsehen niemals über seine Scham-Lippen bringen würde:

 

 

In die Umgangssprache übersetzt: Longchamp behauptet, die tatsächlichen Parteistärken würden mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% in folgenden Bereichen liegen:

 

SVP. 27.9% +/- 2.7%, im Klartext 25.2% - 30.6%
SP ....18.2% +/- 2.3%, im Klartext 16.9% - 21.5%
FDP 16.7% +/- 2.2%, im Klartext 14.5% - 18.9%
CVP 11.5% +/- 1.9%, im Klartext... 9.6% - 13.4%
GPS .. 7.2% +/- 1.5%, im Klartext. . 5.7% - .8.7%
GLP .. 5.0% +/- 1.3%, im Kalrtext. . 3,7% - .6.3%
BDP . 4.6% +/- 1.2%, im Klartext . .3.4%.- .5.8%

.

Hat Longchamp noch eine Tasse im Schrank? Alle Parteien kommen auf irgendwo zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Wer hat das nicht gewusst? Wer braucht dafür einen Demoskopie-Clown und das Schweizer Fernsehen? Da ist es nebensächlich, dass diese Bereiche auf einer statistischen Milchmädchenrechnung Longchamps beruhen. Die tatsächlichen Unsicherheits-Bereiche sind weit grösser.
Quelle: Grafik 10 S. 23 http://www.gfsbern.ch/DesktopModules/EasyDNNNews/DocumentDownload.ashx?portalid=0&moduleid=677&articleid=1323&documentid=1091

 

Aufgerüttelt durch dieses Erlebnis beginnen unsere "Leuchten" nochmals mit dem demoskopischen Bibelstudium. Als erstes fällt ihnen auf, dass von den 2011 "repräsentativ" ausgesuchten Wahlberechtigten 1007 in der Deutschschweiz, 603 in der französisch sprechenden Schweiz und 401 in der italienisch sprechenden Schweiz zu Hause sind. Wie man sieht, hat Longchamp ein offenes Herz für sprachlichen Minderheiten, aber keinen statistischen Sachverstand, denn dadurch vergrössert er die Bandbreite der Parteistärken massiv. Er mache dies nur, um auch über die Westschweiz und das Tessin Aussagen machen zu können. Selbstverständlich würde er diese unrepräsentative Auswahl für das gesamtschweizerische Ergebnis irgendwie zurückbuchstabieren. Das mag ja sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass seine Zahlen für die Deutschschweiz, die über 70% der Wahlberechtigten stellt, auf den Angaben von nur ca. 500 Teilnahmewilligen beruhen. Das ist grotesk. Die Folge davon ist, dass der Unsicherheitsbereich sich auf +/- 4.5% vergrössert, wie Longchamp einst in einem Umfragebericht dozierte:

 

 

Er spekuliert offenbar, dass "Umfrage-Fehler" in der Deutschschweiz durch entgegengesetzte "Fehler" in der Westschweiz und Tessin kompensiert würden. Das ist reines statistisches Wunschdenken. De facto wirkt sich diese hochgradig unrepräsentative Zusammensetzung aus wie eine Reduktion der Zahl Befragten von 1105 auf etwa 700.

 

Von den 2011 "Repräsentativen" wollten 1253 bestimmt wählen gehen, was nach Adam Riese zu einer Wahlbeteiligung von über 60% führen sollte, nach Longchamps "neuer Mathematik" aber 49% ergibt. Von den 1253 Teilnahmewilligen hätten sich 1105 fest für ein Partei entschieden. Demnach gab es 148 Teilnahmewillige, die sich noch nicht festgelegt hatten, also über 10% Unentschlossene. Das wurde von der SRG unter dem Deckel gehalten, weil dies am Lack der mit einer Nachkommastelle dekorierten Parteistärken kratzen würde. Die Parteistärken werden im Fernsehen immer in Striptease-Manier ohne statistische Unterwäsche vorgeführt, d.h. ohne die oben angegebenen Anstands-Toleranzgrenzen. Longchamp und das Schweizer Fernsehen vertrauen darauf, dass Journalisten, Politiker etc. sich an den Schlagzeilen seiner Berichte laben und diese nicht auf Seifenblasen abtasten. Andernfalls wären sie auf S. 23 seines Schlussberichtes auf die obenstehende "Prognose" gestossen.

 

Für welche Parteien die 1105 "repräsentativen" teilnahmewilligen Wahlberechtigten votiert haben, verrät Longchamp natürlich nicht. "Die Konkurrenz könnte mit seinen Daten arbeiten". Seine Berichte (und insbesondere Grafiken) werden stets gesäubert und enthalten nur Prozentzahlen für Parteistärken, aber nicht die effektive Anzahl der Stimmen für jede Partei in der Umfrage. Diesmal ist ihm - wie schon 2011 - das Malheur passiert, dass in einigen Grafiken die Stimmenzahlen für SVP, SP, FDP und CVP nicht wegretouchiert wurden. Deshalb kann man die tatsächlichen Stimmenzahlen für diese Parteien in seiner Datenbank exhumieren (unter "Parteienprofile WB 2015" für die Wellen 1, 2, 3, 4, das Herunterladen dauert ziemlich lange, man muss "silverlight" installieren)

http://gfsb.iweb4.intellexweb.com/showreport.aspx?reportuid=c6faddd5-cb97-4a30-8137-4d973a84fe0e

Von den 1105 Teilnahmewiliigen mit Parteipräferenz votierten


244 für die SVP

291 für die SP

215 für die FDP

113 für die CVP

 

Hat Longchamp in der Hitze des Wahlkampfes etwa SVP und SP verwechselt? Wie dem auch sei, "berechnet" er aus diesen Voten 27.9% für die SVP, 19.2% für die SP, 16.7% für die FDP und die CVP 11.5%, was Adam Riese Brechreiz bescheren und zum Kotzen bringen dürfte. Zwar entstehen durch die Übervertretung der französischen und italienischen Schweiz systematische Fehler, aber niemals im Ausmass wie das die obigen Stimmenzahlen suggerieren. Da in den Umfrageberichten keine Angaben über die Verteilung der Stimmen auf die drei Sprachregionenen gemacht werden, wäre nur eine relative ungenaue Abschätzung mit Hilfe füherer Wahlen möglich.
Wichtiger ist hier ein anderer Punkt. Während das Umfrageergebnis aus den obigen Stimmenzahlen nicht berechnet werden kann (bzw. nur approximativ), ist die Situation beim Trend anders: Aus den Differenzen der Stimmenzahlen von einer Umfrage zur andern lässt sich der "reale" Trend relativ gut ablesen. Die Übervertretung der lateinischen Schweiz ist nämlich bei allen Umfragen gleich. Die dadurch verursachten systematischen Fehler heben sich bei der Differenzbildung weitgehend weg.

 

Als gebranntes Kind weiss Longchamp natürlich, dass "repräsentativ" ausgesuchte Wahlberechtigte denkbar schlechte Ratgeber für Prognosen sind. Aber er weiss auch - und wer weiss es nicht -, dass in der Schweiz sich von einer Nationalratswahl zur nächsten wenig ändert. Auch sagt eine Veränderung der Parteistärke nicht viel über den daraus resultierenden Mandatsgewinn oder Mandatsverlust aus. Die SP fiel von 2007 auf 2011 um 0.8% von 19.5% auf 18.7%, was eigentlich einem Verlust von ein bis zwei Mandaten entspräche. Tatsächlich aber hat die SP drei Mandate gewonnen. In dieser misslichen Situation hat Longchamp (wie alle CH-Demoskopen) aus der Not eine Tugend gemacht und einen Schildbürgerstreich sondergleichen ausgeheckt. Das Pferd wird am Schwanz aufgezogen:

 

Das letzte Wahlresultat ist stets die beste Prognose

 

Das kann natürlich kein Meinungsforscher offen auf den Tisch legen. Denn damit würde er seinem kommerziellen Umfragegeschäft die Lebensgrundlage entziehen. Die methodenbedingten Umfrage-Fehler sind nicht selten grösser als die tatsächlichen Veränderungen der Parteistärken von einer Wahl zur nächsten. Die Befragten werden nämlich nicht "repräsentativ" ausgesucht, wie dies das Schweizer Fernsehen und die Medien der breiten Öffentlichkeit immer unterjubeln. Für die Auswahl der Wahlberechtigten wird die Landeslotterie engagiert. Es werden solange Festnetz-Telefonnummern ausgelost und angerufen bis man mindestens 1000 auskunftswillige Wahlberechtigte in der Deutschschweiz, 600 in der Westschweiz und 400 im Tessin zusammen getrommelt hat. Wen wundert's bei dieser Sachlage, dass Umfrage-Ergebnissen der Ruch von Lottozahlen anhaftet. Offensichtlich hängen die Parteistärken davon ab, wer zufällig befragt wurde. Das weiss Longchamp natürlich und erlebt es immer wieder hautnah.

 

Exhumierung der tatsächlichen Umfrage-Ergebnisse

 

Wer Spass daran hat, kann das selbst machen. Im ersten Wahlbarometer findet man die Zahlen auf S. 35-41, im zweiten Wahlbarometer auf S. 43-47 und im dritten Wahlbarometer auf S. 48-52 (kleindgedruckt im Text unter Grafiken).

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die exhumierten Parteistärken in Longchamps Leichenkeller seit März 2015. In der ersten Spalte ist die Anzahl der Teilnahmewilligen angeben, in der zweiten die Teilnahmewilligen, die sich für eine Partei entschieden haben. Die Differenz - regelmässig über 10% - bilden die Unentschlossenen, die vom Schweizer Fernsehen systematisch unter den Teppich gekehrt werden. Wie man sieht, schwanken die Stimmzahlen von Umfrage zu Umfrage erheblich, gelegentlich erdrutschartig, ganz im Sinne der Landeslotterie. Mit den von Longchamp im Fernsehen verkündeten Trends haben sie nichts zu tun. Den Trend fabriziert er in eigener Regie:

 

WB Datum
Anzahl TNW
Anzahl TNWP
Stimmen SVP
Stimmen SP
Stimmen FDP.Lib
Stimmen CVP
Stimmen GPS
Stimmen GLP
Stimmen BDP
1. WB 31.03
1104
947
211 (26.2%)
252 (19.6%)
190 (15.1%)
114 (11.8%)
71 (7.5%)
?? (5.6%)
?? (4.6%)
2. WB 26.06
1268
1021
195 (26.1%)
270 (19.3%)
214 17.1%
126 (11.5%)
63 (7.4%)
?? (4.8%)
?? (4.4%)
3. WB 09.09
1316
1094
252 (28.0%)
299 (19.3%)
218 (16.9%)
135 (11.1%)
?? (7.4%)
?? (4.3%)
?? (4.2%)
4. WB 07.10
1229
1105
244 (27.9%)
291 (19.2%)
215 (16.7%)
113 (11.5%)
?? (7.2%)
?? (5.0%)
?? (4.6%)

 

Vergleicht man die Zahlen vom 1. Wahlbarometer (März) mit denjenigen vom vierten (Ende September) und berücksichtigt dabei, dass die Zahl der Teilnahmewilligen Parteipräferenz um fast 17% stieg (von 947 auf 1105), dann blieben die Stimmzahlen für SVP, SP und FDP praktisch unverändert, nur die CVP verlor markant. Im Schweizer Fernsehen hingegen stieg die SVP um 1.7% (von 26.2% auf 27.9%), die FDP um 1.6% (15.1% auf 16.7%), während die SP 0.4% verlor (von 19.6% auf 19.2%). Obwohl die CVP massiv an Stimmen verlor (rund ein Sechstel), hielten sich ihre Verluste in Schmerzgrenzen, sie ging lediglich von 11.8% auf 11.5% zurück.

 

Manisch-depressive Wahlberechtigte

 

Von einem Wahlbarometer zum nächsten waren die Befragten z.T. extremen Stimmungsschwankungen unterworfen als wären sie manisch-depressiv. Z.B. ging es mit der SVP vom ersten zum zweiten Wahlbarometer markant bergab. Sie verlor nominal 16 Stimmen (= 211-195). Da die Zahl der Teilnahmewilligen mit Parteipräferenz aber um 8% stieg (von 947 auf 1021), entsprach dies einem Verlust von über 30 Stimmen. Aber das kratzte Longchamp nicht. Er hielt der SVP mit 26.1% die Stange (ein Verlust von nur 0.1%). Über den Sommer 2015 zischte die SVP dann wie eine Rakete von 195 Stimmen auf 252 hoch. Longchamp verhielt sich ausgesprochen knauserig und belohnte diesen kometenhaften Aufstieg mit einem mickrigen Zustupf von 1.9% (von 26.1% auf 28.0%). Als die CVP vom 3. zum 4. Wahlbarometer (Juni-September) von 135 auf 113 Stimmen abstürzte - also einen Sechstel ihrer Gläubigen verlor - war guter Rat teuer. Er hatte die CVP bereits im 3. Wahlbarometer mit 11.1% ans Kreuz genagelt. Wenn man davon einen Sechstel abzieht, kommt man auf etwas über 9%. Aber er konnte doch die CVP nicht kurz vor dem Wahltag mit 9% beerdigen. Als barmherziger Demoskop und guter Christ verhalf er der CVP mit Händen und Beinen zur Wiederauferstehung. Auf wohin: Auf 11.5%! Diesen Wert (11.5%) hat er ihr bereits in der Juni-Wahlbaromer-Arena zugesprochen, als sie 126 Stimmen erhielt (was bei 947 befragten Stimmwilligen mit feststehender Parteipräferenz eigentlich zu einem deutlich höheren Resultat hätte führen sollen). Trotz seiner Verbundenheit mit der SP ging er fremd. Zu wem? Ausgerechnet zur FDP! Als die FDP von der ersten zur zweiten Umfrage 24 Stimmen gewann (von 190 auf 214), vergoldete er dies mit einem Sprung um 2.0% (von 15.1% auf 17.1%) und löste damit ein politisches Erdbeben aus. Als aber die SP von der zweiten zur dritten Umfrage 29 Stimmen dazu gewann (von 270 auf 299), nagelte er sie auf 19.3% fest. Berücksichtigt man die Änderung der Bezugsbasis, dann gewannen SP und FDP beide etwa zehn Stimmen. Die FDP hielt dafür eine Gutschrift von 2% (von 15.1% auf 17.1%), während die SP mit leeren Händen ausging und bei 19.3% blieb.

 

Wie man sieht, haben die befragten Wahlberechtigten bei Longchamp wenig zu sagen. Denn er und seine Zunftgenossen haben eine ganz andere Methode entwickelt. Anstatt sich dem Wankelmut der ausgelosten Wahlberechtigten auszusetzen, befeuchtet er seinen Zeigfinger und hält ihn in die Luft. Wofür? Um die poltische Windrichtung zu "erforschen". Er beschnuppert die Ergebnisse von kürzlich erfolgten kantonalen Wahlen und verfolgt den Polit-Zirkus in den Medien. Entsprechend hebt oder senkt er den Daumen in der demoskopischen Arena im Schweizer Fernsehen. Damit fährt er fast immer weit besser als mit dem Umfrage-Ergebnis. Nur: Wenn sich tatsächlich mal was ändert, dann verpasst er damit den abfahrenden Zug.

 

Nur wer kann das nicht, wer braucht dafür einen Umfrage-Clown und das Schweizerische Fernsehen? Die mit Zwangsgebühren finanzierten Umfragen sind reine Show und Geldverschwendung. Die tatsächlichen Zahlen werden von Longchaemp "auftragsgemäss" entsorgt. In der demoskopischen Gaunersprache heisst das nicht statistischer Betrug, sondern "Kunst der Gewichtung". Die SRG will die tatsächlichen Ergebnisse gar nicht sehen, weil sie sie unmöglich veröffentlichen könnte. Sie weiss auch, dass Longchamp selber gar keine Umfragen durchführt. Die Umfragen werden von gfs.Zürich gemacht. Die SRG schiebt Longchamp als Datenhändler dazwischen um den Umfrageschrott diskret zu entsorgen und vermarktbare Zahlen fabrizieren zu lassen. So braucht sich die SRG die Hände nicht selber schmutzig zu machen und gegen das Radio- und Fernsehgesetz zu verstossen. Sie kann ungeschoren Longchamp als seriösen Demoskopie-Clown mit Fliege in der Wahlbarometer-Arena auftreten lassen und vor Wahlen die Einschaltquote pflegen.

 

"Wes Brot ich ess, des Lied ich sing"

 

In einem gewissen Sinn war Longchamp auch Opfer und Unschuldslamm. Wir leben in einer freien, aber nicht Narren-freien Marktwirtschaft und jeder muss sich sein Brot auf irgend eine Weise verdienen. Im Mittelalter bejodelten einst Minnesänger ihre Herren Brotgeber nach der Devise: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing". Heute operiert das horizontale Gewerbe - wie auch die Demoskopie - auf die gleiche Weise. Zuhälter und Schweizer Fernsehen orientieren sich an Kundenwünschen und sorgen dafür, dass ihre Dienstleistungs-Erbringer diese "anstandslos" erfüllen. Parteistärken ohne Nachkommastelle sind so verkäuflich wie einst Sex mit Gummi. Bis 2005 hatte Longchamp auf dem Gummi bestanden und der SRG keine Nachkommastellen geliefert. In der am 5. Oktober 2005 veröffentlichten 98-seitigen Präsentation der Umfrage-Ergebnisse legte er auf Seite 20 feierlich ein Gelübde für den Gummi ab:

 

 

 

Doch dann gab er dem Druck des Schweizer Fernsehens nach, denn dieses richtet sich nach der Einschaltquote und nicht nach (statistischer) Hygiene, von Redlichkeit gar nicht reden. Seit Oktober 2006 macht es Longchamp ohne Gummi "Dies geschieht auf ausdrücklichen Wunsch der SRG SSG hin", räumte er damals winselnd ein (Technischer Bericht 5. Oktober 2006 Seite 8 2. Abschnittt). Inzwischen hat er richtig Spass daran gefunden und liefert sprudelnd Parteistärken mit Nachkommastelle. Er legte gar noch eine Zacken zu und verkündet (feucht) fröhlich, dass Veränderungen ab +/- 0.5% leichte Gewinne bzw. Verluste und ab +/- 1% Gewinne bzw. Verluste verbürgen:

 

 

Dafür hat er eigens die Statistik neu erfunden und 2007 in einer Aufklärungsschrift namens "Plus minus wieviel" verewigt.

 

 

 

 

Fortsetzung 2015 folgt

 

 

 

2011

 

 

Wie den beiden untersten Zeilen der folgenden Grafik zu entnehmen ist


liess die SP die SVP weit hinter sich Das klingt absurd.

.

Wurden hier SVP und SP verwechselt?

Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Stimmenzahlen für Parteien seit Januar 2011. Die Zahlen wurden immer der gleichen Wahlbarometer-Grafik entnommen. Für jedes Wahlbarometer wurden gut 2000 "repräsentativ ausgesuchte" Stimmberechtigte befragt. Die erste Spalte gibt das Datum des Wahlbarometers an, die zweite die Anzahl der Befragten, die als teilnahmewillig eingestuft wurden (TNW) und die dritte diejenigen Teilnahmewilligen, die eine Parteipräferenz äusserten (TNWP). Die Differenz zwischen der zweiten und dritten Spalte ergibt die Anzahl der noch unentschlossenen Teilnahmewilligen. Wie man sieht, ist regelmässig jeder siebte oder achte Teilnahmewillige noch unentschlossen.

Die Stimmenzahlen für das dritte Wahlbarometer wurden nicht in die Tabelle aufgenommen, weil sie offensichtlich fehlerhaft waren. (Sie bezogen sich auf alle Befragten, die eine Parteipräferenz äusserten, auch von solchen, die nicht als teilnahmewillig eingestuft wurden)

 

WB Datum
Anzahl TNW
Anzahl TNWP
Stimmen SVP
Stimmen SP
Stimmen FDP.Lib
Stimmen CVP
Stimmen GPS
Stimmen GLP
Stimmen BDP
2. WB 28.1
1229
855
255 (29.8%)
154 (18.0%)
151 (17.7%)
110 (12.9%)
75 (8.8%)
44 (5.2%)
22 (2.6%)
4. WB 1.7
998
860
191
219
146
80
102
56
23
5. WB 12.8
1061
895
174
240
165
109
96
54
31
6. WB 9.9
1137
965
209
281
160
122
78
47
26
7. WB 12.10
1297
1137
226
315
168
158
108
66
52

 

Im Januar war die Walbarometerwelt noch in Ordnung. Von den 855 Teilnahmewilligen votierten 255 für die SVP bzw. 154 für die SP, was exakt den im Wahlbarometer (Schweizer Fernsehen) verkündeten 29.8% bzw. 18.0% entsprach. Für die anderen Parteien war das genau so.

Aber dann brach die "Oktoberrevolution" aus. Die SVP stürzte ab, während die SP nach vorne stürmte und die SVP hinter sich liess. Bei praktisch gleicher Zahl von Teilnahmewilligen (860) votierten im Juni nur noch 191 für die SVP, aber 219 für die SP. Die Stimmenzahl der FDP blieb praktisch unverändert, ebenso diejenige der BDP. Dagegen verlor die CVP massiv an Stimmen, während die Grünen ebenso massiv an Stimmen gewannen. Auch die GLP legte zu. Das Schweizer Fernsehen spürte davon nichts. Es meldete zwar etwas andere Parteistärken als im Januar, aber diese entsprachen in keiner Weise den Stimmenzahlen für SVP, SP und CVP in der Umfrage. Auch für die FDP, GLP und BDP korrespondierten Stimmenzahl und Parteistärken nicht, aber die Unterschiede waren nicht gross.

In den Wahlbarometern für August, September und Oktober wiederholte sich dieses Schauspiel. Stimmenzahlen und Parteistärken divergierten z.T. in grotesker Weise, als wären SVP und SP verwechselt worden. Zudem vergrösserte die SP ihren Vorsprung auf die SVP laufend. Auffallend ist, dass die Stimmenzahl einer Partei öfters von einem Wahlbarometer zum nächsten grosse Sprünge machte, z.B. verdoppelte die BDP ihre Stimmenzahl vom 6. zum 7. Wahlbarometer und die Grünen setzten vom 4. zum 5. Wahlbarometer zu einem Freudensprung von 3% an. Das Auf und Ab der Stimmenzahlen von einer Umfragen zur nächsten führte regelmässig zu Veränderungen der Parteistärken von 1% bis zu 3%, während die in den Wahlbarometern gemeldeten Trends meist unter 1% lagen.

 

Was ist passiert, wie sind diese absurden Zahlen zu erklären?

1. Das Forschungsinstitut gfs.bern führt keine Umfragen durch!
2. Gfs.bern ist ein Prozentzahlen-Handelsbetrieb mit Kläranlage.

 

Das Wahlbarometer wird vom "Forschungsinstitut" gfs.bern alias Claude Longchamp betrieben. Es (er) beschäftigt ein paar Mitarbeiter, aber keine Interviewer und führt keine Umfragen durch. Longchamp kauft Umfrageergebnisse beim gfs.Befragungsdienst in Zürich ein, einem realen Umfrageinstitut, das etwa 150 Interviewer beschäftigt und viele Kunden hat (einer davon ist Longchamp). Gfs.bern ist de facto ein Prozentzahlen-Handelsbetrieb, der Umfrageergebnisse einkauft, diese "aufbereitet" und an das Schweizerische Fernsehen (SF) weiter verkauft. Was der gfs.Befragungsdienst an Umfrageergebnissen produziert, ist zwar unverfälscht, aber völlig ungeniessbar. Das ist der Grund dafür, weshalb das SF den Datenzwischenhändler Longchamp einschaltet. Sein Job besteht darin, den demoskopischen Erguss des Befragungsdienstes durch seine Kläranlage laufen zu lassen und dem SF aufbereitete Zahlen vorzulegen.

Es ist bekannt, dass kein CH-Meinungsforscher Parteistärken veröffentlicht, die er in der Umfrage ermittelt hat. Die Zahlen werden von allen "aufbereitet" und an die Resultate der Wahl vor vier Jahren angepasst. Im Wahlbarometer 2005 und 2009 beschrieb Longchamp die Arbeitsweise seiner Kläranlage wie folgt: Die Ergebnisse (Stimmenzahlen pro Partei) des gfs.Befragungsdienstes werden "korrigiert" und "plausibilisiert":

 

 

In die Umgangssprache übersetzt: In der politisch stabilen Schweiz ist das letzte Wahlresultat stets die beste Prognose! Das abstruse Umfrageergebnis wird entsorgt und das geringfügig modifzierte Wahlresultat von 2007 als neuestes Umfrageergebnis ausgegeben. Im 2. Wahlbarometer (obige Tabelle) sind noch die "geklärten" Stimmzahlen zu sehen. Longchamp hatte zuerst Parteistärken mit Nachkommastelle produziert - wie er das macht, hält er streng geheim -, und seine Gehilfen haben seine Prozentzahlen auf die 855 Teilnahmewilligen umgelegt (d.h. für jede Partei die Stimmenzahl fiktiv berechnet, anstatt die in der Umfrage gezählten Stimmen zu verwenden).

Longchamp ist ab dem 4. Wahlbarometer das Malheur passiert, dass die vom gfs.Befragungsdienst ermittelten Stimmenzahlen nicht in seine Kläranlage eingeleitet wurden, sondern sich "ungefiltert" in immer die gleiche Grafik der Umfrageberichte ergossen. Arithmetisch ausgedrückt: Seine Gehilfen hatten vergessen, die von ihm für das SF "geklärten" Prozentzahlen auf die Teilnahmewilligen umzulegen. Damit ist der Albtraum eines jeden CH-Demoskopen - mit unverfälschten Umfrageergebnissen erwischt zu werden - für ihn in Erfüllung gegangen.

 

Weitergehende Ausführung in:

Reiseführer Wahlbarometer

Wanderkarten (Grafiken) Wahlbarometer

Beschwerde UBI

Demoskopen vor Urnengängen an die Leine nehmen?

Frühere Beiträge

Longchamps Minarett-Debakel

Ein Blick hinter die Kulissen von gfs.bern (Personenfreizügigkeit)

Zahlenprostitution in der Sonntagszeitung

Nationalratswahlen 2007

 

A. Schweizer Fernsehen & Longchamp

B. Etikettenschwindel "Repräsentativumfrage"

C. Wie kommen die Zahlen tatsächlich zustande?

1. Bei Abstimmungen: Longchamp fabriziert Zahlenkombinationen, die SRG dichtet Fragen dazu.

2. Bei Wahlen: Das Ergebnis der letzten Nationalratswahlen wird leicht modifiziert und als neues Umfrageergebnis im SRG-Wahlbarometer verkauft.

D. Wählertäuschung: Eventualvorsatz erfüllt.

E. Glückliche Symbiose als Kuhhandel.

F. Wer bezahlt die Zeche dafür?

G. Moral von der Geschicht.

Inhaltsverzeichnis (Wahlbarometer-Serie)

1. Utopische Genauigkeit

2. Wahlbarometer 2009: Parteien sind manisch-depressiv geworden

3. Der unbezahlbare Preis für eine höhere Genauigkeit

4. Longchamps statistisches Wunschdenken

5. Je mehr Nichtwähler befragt werden, desto genauer die Umfrage!

6. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing." Auf ausdrücklichen Wunsch der SRG mutiert Longchamp zum Gaukler, der auf einer Sonnenuhr Sekundenbruchteile abliest.

7. SRG-Wahlbarometer ist reine Augenwischerei

8. Longchamps Zahlen sind Tipps, die er als Umfrageergebnisse tarnt

9. Longchamp digitalisiert sein Bauchgefühl

10. Aller guten Dinge sind drei: Die bestellten Gutachten der SRG (in Vorbereitung)

Minarett-Umfrage. Weshalb Longchamp auf die Nase fiel

Synopsis


A. Schweizer Fernsehen & Longchamp

Monopol von Longchamp. Umfragen vor Urnengängen werden vom Schweizer Fernsehen (SRG) im Dauerauftrag an Claude Longchamp (alias gfs.bern) vergeben. Die Aktiengesellschaft gfs.bern lässt jeweils ein paar Tausend Telefonnummern auslosen. Die Anrufe verlaufen aber sehr oft im Sand und bringen wenig Handfestes. Die meisten Stimmberechtigten sind nämlich unkooperativ und geben keine Auskunft. Und diejenigen, die sich befragen lassen, äussern sich mehrheitlich vage bzw. unverbindlich, nur eine Minderheit spricht Klartext. Doch mit dem Know-how eines Claude Longchamps gelingt es dem Forschungsinstitutes gfs.bern immer, aus fehlenden und vagen Antworten genaue Prozentzahlen zu extrahieren. Die SRG setzt noch eins drauf und macht daraus eine exakte Momentaufnahme, die von der Öffentlichkeit bis bis zum Wahltag als Prognose konsumiert wird. Das (nicht selten böse) Erwachen folgt danach. Zuletzt bei der Minarett-Initiative, wo aus 37% Ja in der Umfrage 57.5% an der Urne wurden.

Handwerk mit goldenem Boden. Kommandant von gfs.bern ist der bekannte Politologe Claude Longchamp. Er ist in Personalunion Mehrheitsaktionär, Präsident des Verwaltungsrates und Institutsleiter. Deshalb wird er im Folgenden mit gfs.bern gleichgesetzt. Als Werkstattchef von gfs.bern organisiert und überwacht er die Produktion von genauen Prozentzahlen persönlich. Die Fertigung von Nachkommastellen ist delikate Handarbeit und erfordert ein gerüttelt Mass an Selbstvertrauen und statistischer Ahnungslosigkeit.

Longchamps Handwerk hat goldenen Boden. Im Jahre 2009 führte er acht Umfragen zu vier Abstimmungen für die SRG durch. Dabei wurden insgesamt etwa 9200 Stimmberechtigte befragt. Dafür erhielt er nach seinen Angaben rund 225 000 Fr. (7% von 3.2 Millionen). Im Wahljahr 2007 führte er insgesamt 13 Umfragen für die SRG durch (acht Wahlbarometer, eine Wahltagsbefragung und je zwei Umfragen zu zwei Abstimmungen), wobei insgesamt rund 22000 Stimmberechtigte interviewt wurden. Das dürfte ihm 2007 über eine halbe Million eingebracht haben, was etwa 17-18% seines damaligen Umsatzes von 3.05 Millionen entspricht. Mit der SRG ist Longchamp seit 12 Jahren mit Wahlumfragen im Geschäft. Damit dürfte er der einzige festangestelle Nichtangestellte der SRG sein.

Im Wahljahr 2011 wird er sich wieder eine goldige Nase mit der SRG verdienen OHNE DIE KARTEN AUF DEN TISCH LEGEN ZU MÜSSEN.

Gewaschene Zahlen. Longchamp ist nämlich vertraglich nur verpflichtet Umfragen durchzuführen und der SRG "irgendwelche" Zahlen abzuliefern. Er hat sich ausbedungen, dass die tatsächlichen Ergebnisse (euphemistisch "Rohergebnisse" genannt) sein Eigentum sind, das er unter Verschluss behält. Der SRG braucht er nur "gewaschene Zahlen" vorzulegen. Deshalb verbreitet die SRG nicht Umfrageergebnisse, sondern seine Interpretationen von "Rohergebnissen", m.a.W. Tipps von Longchamp. Das verschweigt die SRG konsequent in ihrer Umfrage-Berichterstattung.

Ergebnisse von Umfragen, die mit öffentlichen Mitteln finanzierten werden, gehören der Allgemeinheit und nicht in den Tresor von Longchamp. An diesem unhaltbaren Zustand hat das Minarett-Debakel nichts geändert.

Göttliche Empfängnis. Juristisch stellt sich die SRG auf den Standpunkt, Longchamp sei eine "seriöse Quelle", auf die sie sich verlassen dürfe. Das Zustandekommen der Zahlen sei eine komplexe und hochwissenschaftliche Angelegenheit, die ihren Horizont übersteige. In der Vorstellung der SRG kommt Longchamp zu seinen Zahlen wie die Jungfrau zum Kind - durch Göttliche Empfängnis. Mit einem Unterschied: Unbefleckt war sie nicht.

Longchamp tanzt nach der Pfeife der SRG. Es sei rechtlich unerheblich, behauptet die SRG, dass die "seriöse Quelle" von ihr finanziell abhängig ist und bei Bedarf nach ihrer Pfeife tanzt. So beugte sich Longchamp 2006 dem Druck der SRG als diese eine Nachkommastelle für Parteistärken für ihr Wahlbarometer begehrte. Diese Pseudogenauigkeit war und ist reine Augenwischerei. Aber die Angabe einer Nachkommastelle betont die Genauigkeit der Zahlen und lässt sie als amtliche bestätigte Momentaufnahme erscheinen. Mit der Nachkommastelle erfülle er lediglich den "ausdrücklichen Wunsch der SRG", rechtfertigte er sein Tun im technischen Bericht zum 1. Wahlbarometer für die Nationalratswahl 2007 (Seite 8, 2. Abschnitt). Noch im Oktober 2005 hatte er das als Scharlatanerie abgetan.

Weihwasser und Sachgerechtigkeitsgebot (RTVG Art. 4). Die tatsächlichen Umfrageergebnisse scheut die SRG wie der Teufel das Weihwasser. Diese haben wenig Informationswert, was die SRG mit allen Mitteln zu kaschieren versucht. Die SRG will auch gar nicht wissen, wie Longchamp die Antworten der Stimmberechtigten präpariert. Denn das würde sie mit dem Radio und Fernsehgesetz (RTVG) in Konflikt bringen. Nach Art. 4 müssen SRG-Sendungen sachgerecht sein, damit sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Dazu gehört, dass zwischen Fakten und Thesen (Meinungsäusserung) klar unterschieden wird. Longchamps Zahlen dürfen nicht als Fakten präsentiert werden. Sie müssen als das deklariert werden, was sie tatsächlich sind: Spekulative Interpretationen von Umfrageergebnissen, Tipps von Longchamp. Gemäss Bundesgericht gilt vor Abstimmungen und Wahlen erhöhte Sorgfaltspflicht zu beachten. Weil aber Longchamp für die SRG eine "seriöse Quelle" ist, wähnt sie sich aller Sorgfaltspflichten entbunden und legitimiert, den Kopf in den Sand stecken.

 

B. Etikettenschwindel "Repräsentativumfrage"

Zufallsauswahl. Die Befragten werden nicht "repräsentativ" ausgewählt, wie von Longchamp und der SRG immer suggeriert wird, sondern per Lotterie. Longchamp lässt für jede Umfrage in jeder Sprachregion solange Telefonnummern auslosen, bis er eine für die SRG noch bezahlbare Anzahl von Stimmberechtigten zusammen getrommelt hat. Bei Nationalrats-Wahlen liegt die finanzielle Schmerzgrenze der SRG bei rund 2000 Stimmberechtigten (davon 1000 in der Deutschschweiz, 600 in der Westschweiz und 400 im Tessin). Bei Abstimmungsvorlagen wird die finanzielle Reissleine früher gezogen. Es werden etwa 1200 antwortwillige Stimmberechtigte befragt, 600 davon in der Deutschschweiz und je 300 in der Westschweiz und im Tessin. Da stellt sich dem Zuschauer die Frage:

Sind Umfrageergebnisse Lottozahlen? Diesen Eindruck konnte man nach der Minarett-Abstimmung durchaus haben. Das Umfrageergebnis hängt ja davon ab, wer unter den Interview-Willigen zufällig befragt wurde. Wären andere Wahlberechtigte ausgelost und befragt worden, würde das Ergebnis mit Sicherheit anders aussehen. Die Frage ist in welchem Ausmass. Das ist eine Frage, welche die mathematische Statistik unter gewissen Voraussetzungen beantworten kann. Wenn beispielsweise die SVP gemäss Wahlbarometer 2009 auf 24.8% und die Grünen auf 10.1% kamen, was wäre passiert, wenn Longchamp andere Telefonnummern ausgelost und angerufen hätte. Könnte es dann sein, dass die SVP auf 27.0% oder 22.6% oder irgendwo dazwischen gekommen wäre und ebenso die Grünen auf 7.9% oder 12.3% oder Werte dazwischen?
Ja, das sei möglich, räumt Longchamp kleinlaut ein, was er und die SRG natürlich nicht an die grosse Glocke hängen. Der (gelernte) Historiker hatte schon als Junge ein Flair für Mathematik, wie er in seinem Lebenslauf im Stadtwanderer-Blog betonte und mutierte in reifen Mannesjahren nebenberuflich zum Hobby-Statistiker. Seither behauptet er unentwegt, der durch die Auslosung von Telefonnummern verursachte Streubereich (oder Fehlerbereich) betrage für Parteistärken bei Wahlen +/-2.2% und für Ja/Nein-Anteile bei Abstimmungen +/-2.9%. Ein gelernter Statistiker kommt allerdings auf das DOPPELTE.

Statistisches Wunschdenken. Longchamps "Berechnung" der Lotterieschäden (+/-2.2% bzw. +/-2.9%) basiert auf statistischem Wunschdenken, welches er in seinem Kommuniaktions-Blog zum besten gibt. Er verwendet eine Formel (Binomialverteilung), die die Statistik für Münzwürfe oder das zufällige Ziehen von Kugeln aus einer Urne mit nur schwarzen und weissen Kugeln entwickelt hat. Er unterschätzt deshalb die Auswirkungen der Zufallsauswahl von Telefonnummern auf Umfrageergebnisse massiv. Damit diese Formel (Binomialverteilung) auch auf Umfragen anwendbar wäre, müsste erstens die Wahlbeteiligung 100% betragen und zweitens dürfte der Fragebogen nur eine einzige Frage enthalten und drittens müsste diese Frage nur zwei Antworten zulassen (z.B. Ja/Nein oder Regierung/Opposition analog Kopf/Zahl bzw. schwarz/weiss). Die Erfüllung dieser Voraussetzungen würde eine grosse Erleichterung für die Menschheit bedeuten: Es würde keine Umfragen mehr geben.

Aber auch eine Verdoppelung der auslosungsbedingten Fehler (auf +/-6%) kann die grossen Unterschiede zwischen Umfrage und Abstimmungsresultat, die oft 10 bis 20% betragen, nicht erklären. Die Gründe hierfür liegen anderswo.

Longchamp-Abstinenten (Interview-Verweigerer). Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die grosse Mehrheit der Stimmberechtigten nicht bereit ist, ein telefonisches Interview über sich ergehen zu lassen. Meinungsforscher haben 2007 in der Schweiz 3.2 Millionen Personen für Umfragen in Beschlag genommen, 340 000 mehr als im Vorjahr. Da überrascht es nicht, dass viele Leute die Nase voll von solchen Anrufen haben und nicht mehr mitspielen. Nach Longchamps Angaben liegt seine Ausschöpfungsquote bei gerade mal 36%, d.h. von 100 zur Befragung ausgewählten Stimmberechtigten machen nur 36 mit (vergl. Umfragebericht S. 9 Tabelle 2).

Wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten von einer Umfrage nicht erfasst werden, dann braucht man sich über Abweichungen von 20% nicht zu wundern.

Longchamp unterstellt klammheimlich, dass Interview-Abstinenten genau so wählen wie diejenigen, die bereit sind ein Interview über sich ergehen lassen. Eine heile Welt. Die SRG steckt den Kopf in den Sand und lässt ihn gewähren. Den Zuschauern gaukelt sie vor, die Umfrage sei repräsentativ. Fragt sich repräsentativ für wen? Für Stimmberechtigte, die zu Hause gespannt auf den Anruf von Longchamp warten, um ihm den ausgefüllten Stimmzettel vorzulesen?

Fata Morgana Meinungsumschwung. Als Erklärung für die Diskrepanzen zwischen Umfrage- und Abstimmungsergebnis wird eine Fata morgana an die Wand gemalt: Der "überraschende" Meinungsumschwung kurz vor dem Urnengang. Tröstlich an diesen mentalen Bocksprünge ist, dass sie ziemlich regelmässig stattfinden.

Umfragen und Realität. Umfragen seien eben "nur" Momentaufnahmen und keine Prognosen, klagt Longchamp nach jeder Panne und verzeiht sich so die Fehlprognose. Seine Opfer - auch die Landesregierung zählt dazu - erleben das freilich anders. Bei ihnen kommen Longchamps Momentaufnahmen immer als Prognosen an. Das ist - soweit es die SRG betrifft - auch durchaus im Sinne der Einschaltquote. Bundesrat Leuenberger führte im Nationalrat nach der Minarettabstimmung seufzend aus, der Bundesrat habe die Differenz zwischen Umfrage und Realität mit Erstaunen zu Kenntnis genommen und erachte sie als staatspolitisch gravierend. Offenbar braucht der Bundesrat eine demoskopische Nachhilfestunde.

Wahltagsbefragungen und Vox-Analysen. Longchamps These vom plötzlichen Meinungsumschwung wäre glaubhaft, wenn am Wahltag (oder kurz danach) durchgeführte Umfragen das Ergebnis des Urnenganges reproduzieren würden. Dann hätte er ein veritables Alibi. Aber das ist gerade nicht der Fall. Die von ihm durchgeführten Wahltagsbefragungen von 1995 bis 2007 und die Voxanalysen (die ein paar Tage nach dem Urnengang erfolgen) liefern regelmässig peinliche Abweichungen vom amtlichen Schlussresultat und bleiben deshalb unter Verschluss. Stattdessen lamentiert Longchamp landauf landab und rund um die Uhr, dass 2007 gemäss Wahltagsbefragung 46% der Wähler - und bei der Minarett-Voxanalyse 2009 31% - die definitive Wahlentscheidung erst in den beiden letzten Wochen vor dem Urnengang getroffen hätten. Ergo müsse die Diskrepanz die Folge eines Meinungsumschwunges sein, ein Schicksalsschlag wie "höhere Gewalt". Das wäre tröstlich, wenn die Wahltagsbefragung für 2007 und die Vox-Analyse (Minarett) das Wahlergebnis reproduziert hätten. Weil dem nicht so ist, entpuppt sich sein Gejammer über den Meinungsumschwung als reine Schutzbehauptung. Der Hund liegt anderswo begraben: Zwei Drittel der Stimmberechtigen sind Longchamp-Abstinenten. Das lässt er immer unter den Tisch fallen.

Eigentor Vox-Analyse. Ein Musterbeispiel für diese Schlitzohrigkeit war die Vox-Analyse nach der Minarettabstimmung. Dafür wurden wie üblich 1000 Wähler ein paar Tage nach der Abstimmung zu ihrem Stimmverhalten befragt. Der Bericht wurde Ende Januar 2010 mit viel Tamtam den Medien vorgestellt und strotzte nur so vor Prozentzahlen und Erklärungen. Aber zwei Zahlen fehlten: Wie viele der 1000 befragten Wähler mit Ja bzw. Nein gestimmt hatten. Acht Monate später wird diese Katz in einem (von der SRG für einen andern Zweck bestellten) 45-seitigen Gutachten aus dem Sack gelassen. Auf Seite 19 (Mitte) erfährt man: "Noch in der Nachbefragung gab eine Mehrheit an, mit Nein gestimmt zu haben". Anstatt dem Abstimmungsresultat von 57.5% kamen unter 50% Ja heraus (es waren 49%)!

Gewichtungskunst. Die schweigende Zweidrittelsmehrheit und die durch die Zufallsauswahl der Befragten verursachten Abweichungen sind der Grund, weshalb Longchamp seinen Ergebnissen nicht über den Weg traut und permanent an ihnen herumdoktert. Diese Tätigkeit empfindet er aber nicht als Fälschen von Umfrageergebnissen. Er sieht darin einen heroischen chirurgischen Eingriff, um Umfragezahlen, die mit schweren Erbleiden auf seinem Schreibtisch zur Welt kamen, für kurze Zeit am Leben zu erhalten. In der demoskopischen Fach- oder Gaunersprache hat man dafür eigens ein Kosewort geprägt: Gewichtungs-Kunst.

 

C. Wie kommen die Zahlen zustande?

1. Bei Abstimmungen fabriziert Longchamp Zahlenkombinationen, die SRG dichtet Fragen dazu.

Wie er bei der zweiten Umfrage zur Minarett-Initiative seine Prognosezahlen - 37% Ja, 53% Nein und 10% Unentschlossene - produzierte,

kümmert die SRG nicht. Sie weiss, dass den Befragten die suggerierte Frage

"Stimmen Sie mit Ja oder mit Nein oder sind Sie noch unentschlossen?"

gar nicht gestellt wurde. Longchamp hat die Antworten auf zwei ganz anders lautende Fragen spekulativ kombiniert und die SRG verkauft seine Zahlenkombination als Antwort auf die von ihr gedichteten Frage. Nota bene: Die Antwortmöglichkeit "unentschlossen" war den Befragten gar nicht offeriert worden! Durch die Fragestellung wurde vielmehr Druck ausgeübt, sich für oder gegen das Minarett-Verbot auszusprechen. Das erklärte Ziel von Longchamp ist, wie die SRG der UBI am 30. Juni 2008 schrieb, die Zahl der "Unentschlossenen" zu minimieren.

Dem tatsächlichen Umfrageergebnis geht die SRG aus dem Wege wie der Teufel dem Weihwasser: Wenn man Longchamps Zahlen für bare Münze nimmt, dann waren beim Minarettverbot nur

15% der Stimmberechtigten bestimmt dafür, 22% bestimmt dagegen und 5% entschlossene Nichtwähler. Aber volle 58% der Stimmberechtigten waren sich UNSCHLÜSSIG, ob und wie sie wählen letztlich würden.

Nur mit einem solchen Ergebnis will die SRG nicht an die Öffentlichkeit. Details sind in "Longchamps Waterloo " zu finden.

 

2. Wahlbarometer. Das Ergebnis der letzten Wahlen wird leicht modifiziert und als "neues" Umfrageergebnis im SRG-Wahlbarometer präsentiert.

Mit Ausnahme der SVP betragen die vorgeführten Veränderungen +/-1% und weniger. Der scheinbare grosse Verlust der SVP von -4.1% ist eine "optische Täuschung". Der Absturz reflektiert einfach die Abspaltung der BDP, die in der Grafik für Zwergparteien (GLP, EDU etc.) untergebracht ist und dort mit 3.4% veranschlagt wird. Zusammen haben SVP und BDP also ganze 0.7% "verloren". Die angeblichen Veränderungen betragen maximal ein Prozent und sind deutlich kleiner als die von Longchamp eingeräumte Streuung der Parteistärken (+/-2.2%), die als Folge der Auslosung von Telefonnummern unvermeidbar ist. Mit andern Worten, wären andere Stimmberechtigte ausgelost und befragt worden, hätten die Veränderungen ganz anders ausgesehen.

Fazit: Longchamp betreibt mit Lotterieartefakten politische Allotria. Das Wahbarometer 2009 reduziert sich auf absurdes Theater, das im Wahljahr 2011 zigmal wiederholt wird.

Das tatsächliche Umfrageergebnis war wie immer völlig anders und hätte wie eine politische Bombe eingeschlagen, wenn es publiziert worden wäre. Aber Longchamp hält seine Zahlen unter Verschluss und unterzieht sie mehreren Waschprogrammen bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Der letzte Schliff wird mit dem Vorschlaghammer vollzogen - der sogenannten Recall-Gewichtung -, die er im detaillierten Umfragebericht auf Seite 6 wie folgt beschreibt:



Aus dem Demoskopischen ins Deutsche übersetzt und auf den Punkt gebracht heisst dies: Das Ergebnis der sündhaft teuren, mit Zwangsgebühren finanzierten Umfrage wandert in den Abfall und wird praktisch durch das Resultat der Nationalratswahl 2007 ersetzt. Max Kaase, der Nestor der deutschen Wahlforschung beschrieb diesen Schwindel schon 1987 mit folgenden Worten:

"Bei diesem höchst umstrittenen und theoretisch völlig unfundierten Ansatz macht man sich paradoxerweise gerade die Abweichung der Befragtenangaben zu ihrer zurückliegenden Wahlentscheidung (der sogenannten Recall-Frage) vom ja zweifelsfrei bekannten Ergebnis einer zurückliegenden Vergleichswahl zunutze, um die aktuelle "Prognose", die an sich auf den Angaben der Befragten zu ihrer Wahlabsicht beruhen müßte, zu korrigieren. Solche politisch gewichteten "Prognosen" haben die Wirkung, diese mehr in die Nähe der traditionell zu erwartenden Wahlergebnisse zu rücken und verfälschen damit gerade die eigentlich interessante Nachricht: Wie nämlich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Stimmung der Bevölkerung bezüglich der politischen Parteien aussieht." (Rheinischer Merkur 11.09.1987, Sonderbeilage Demoskopie)

Solange sich die politischen Kräfteverhältnisse nicht oder nur wenig verändern, funktioniert dieses Spiel wunderbar. Nur wären dann Meinungsumfragen eigentlich überflüssig. Das erklärt auch, weshalb Longchamps prophezeite Parteistärken dann zutreffend sind, wenn sie sich von einer Wahl zur nächsten kaum verändern. Mit Prognosekunst hat das nichts zu tun, wohl aber mit Schummelei. Denn faktisch wird das Umfrageergebnis entsorgt und durch das Resultat der letzten Nationalratswahl ersetzt, an welchem minimale Retouchen vorgenommen werden. Die Windrichtung ist durch zwischenzeitliche kantonale Wahlen vorgegeben. Das kann jeder nicht lesebehinderte Journalist genau so gut wie Longchamp, mit dem kleinen, aber feinen Unterschied: Die SRG würde nicht sechstellige Beträge für eine Wahlbarometerserie zum Fenster heraus werfen, die sie wehrlosen Zuschauer mit Zwangsgebühren aus der Tasche gezogen hat.

Gerät die politische Landschaft in Bewegung, wird der abfahrende Zug "spielbedingt" verschlafen. Denn der Wecker - die tatsächlichen Ergebnisse der Umfrage - ist mit dem Vorschlaghammer der recall-Gewichtung ruhig gestellt worden. Die Folge davon ist, dass der Trend unterschätzt wird. So sind Longchamp die Freudensprünge der SVP 1995/1999 (+7.6%) und 1999/2003 (+4.2%) in ihrem Ausmass entgangen. Den Absturz der FDP von 1999 auf 2003 hat er ganz verschlafen, statt -2.6% tippte er auf -0.4%. Beim Absturz der SP von 2003 auf 2007 erging es ihm ähnlich, statt -3.8% prophezeite er -1.6%. Der Sprung der SVP von 2003 auf 2007 entging ihm gleichfalls, statt +2.2% tippt er auf +0.9%. Um Erklärungen für seine "Patzer" ist er nicht verlegen.

Absturz der FDP in 2003. Damals hätte ihm Bundesrat Couchepin (FDP) mit der Erhöhung der Krankenkassenprämien die Prognose versaut. Der kleine Schönheitsfehler an dieser Sau ist, dass die Wahl 19. Oktober stattfand, die Diskussion über die Anhebung aber schon im Juni losging und über den Sommer weiter brodelte. Dazwischen gingen drei Wahlbarometer über die Bühne, die nichts von den Krankenkassenprämien spürten und Longchamp noch keine Sau auf seinem Radar hatte. Diese hat er am Tag nach der Wahl entdeckt und dann stante pedes per Tagesschau durch Helvetiens Dörfer gejagt.

Longchamp behauptet in der Tagesschau vom 20.10.2003, in der letzten Woche vor der Wahl sei die FDP regelrecht auf 13% abgestürzt (von vorher 18.8%). Wie absurd diese Behauptung ist, sieht man daran, dass sie auf den Angaben von etwa 40 (vierzig!) FDP-Wählern beruhte, die sich in der letzten Woche vor der Wahl definitiv für die FDP entschieden hatten. Bei dieser lächerlich kleinen Befragtenzahl beträgt der Fehlerbereich mehr als +/-10%. Nach Longchamp stürzte also die FDP von 18.8% auf irgendwo zwischen 3% und 23% ab, zum Beispiel von 18.8% auf 23%.

Absturz der SP und Höhenflug der SVP 2007. Dafür machte er die Krawalle in Bern anlässlich einer SVP-Kundgebung zwei Wochen vor der Wahl verantwortlich. In der Präsidentenrunde im Fernsehen am Tag nach der Wahl versuchte er seine Krawallstory mit prächtigen Grafiken, viel Lautmalerei und einer Wahltagsbefragung zu verkaufen. Mit geschwollener Brust führte er vor der hochkarätigen Runde aus, in der Woche unmittelbar nach den Krawallen sei der SVP-Anteil dramatisch angestiegen. Von den Wählern, die sich in dieser Woche definitiv für eine Partei entschieden, hätten über 30% für die SVP votiert. Das hört sich gut an, entpuppt sich aber als reine Schaumschlägerei. Denn die Grafiken 19 und 21 auf Seite 21/22 in Longchamps detailliertem Umfragebericht erzählen eine ganz andere Geschichte. In den drei letzten Wochen vor der Wahl entschieden sich 11%, 17% und 29% definitiv für eine Partei. Die SVP-Anteile waren in diesen drei Wochen 20% (!), 30% und 27%. Daraus errechnet sich für die beiden letzten Wochen ein SVP-Anteil von 28.1% {= (0.17x30% + 0.29x27%) / 0.46} und für die Zeit davor einen solchen von 29.6%. Wenn man Longchamps Zahlen für bare Münze nimmt, fiel die SVP als Folge der Krawalle von 29.6% auf 28.1%. Noch dramatischer ist der Vergleich für die letzten drei Wochen mit der Zeit davor. Die SVP ist in den letzten drei Wochen regelrecht abgestürzt, von 32.5% zuvor auf 26.5% (= {(0.11x20% + 0.17x30% + 0.29x27%) / 0.57}).

Politisch war die Krawallstory schon vor ihrer Niederkunft eine Luftnummer. Denn, wie der damalige SP-Chef Fehr in der Präsidentenrunde betonte, waren nicht seine Genossen, sondern übereifrige Grüne die Organisatoren der Gegendemonstration, die zu den Ausschreitungen führte. Er (Fehr) fand es "interessant" (!), dass die unschuldige SP den Kopf herhalten musste und nicht die Grünen (die dummerweise massiv zulegten). Er absorbierte - wie die anderen Parteipräsidenten - Longchamps Krawall-Luftschloss ohne Schluckbeschwerden. SVP-Präsident Maurer hingegen roch Lunte und konterte unverblümt. Longchamps Krawallstory sei doch nur eine faule Ausrede um seine Fehlprognose schön zu reden. Maurer fuhr fort und legte gleich Zeugnis für die eigene Zahlengläubigkeit ab: Er hätten schon im Sommer 2007 gewusst, dass die SVP auf 29% käme. Derweil stand Longchamp wie ein begossener Pudel da. Er machte ein paar rhythmische Bewegungen, als versuche er sein tropfnasses Fell trocken schütteln.

 

D. Wählertäuschung

Wäre Wählertäuschung ein Straftatbestand, wäre Eventualvorsatz erfüllt: SRG und Longchamp nehmen billigend in Kauf, Stimmberechtigte vor Urnengängen in die Irre zu führen. Nicht um sie - wie manchmal unterstellt wird - in eine bestimmte Richtung zu lenken, sondern aus purem Eigennutz. SRG und Longchamp können und wollen nicht eingestehen, dass Umfragen vor Urnengängen weitgehend für die Katz sind. Sie liefern bei Abstimmungen nur ein diffuses Stimmungsbild, das über den Wahlausgang kaum etwas besagt. Bei Nationalratswahlen (Wahlbarometer) sind die ungewaschenen Umfragezahlen oft dermassen absurd, dass die SRG Longchamp eine Blutprobe abnehmen oder ihn in eine psychiatrische Klinik einliefern müsste, wenn er sie (seine Zahlen) für bare Münze nähme. Zum Beispiel: SP holt die SVP ein - beide kommen auf 23% -, Grüne bei 13%, usw. Selbstverständlich ist Longchamp kerngesund, zumindest finanziell. Solche Umfrageergebnisse steckt er locker weg mit der "Begründung", das sei die bekannte Übervertretung linker Parteien. Sein "repräsentativer Querschnitt" ist eben hochgradig unrepräsentativ.

Um all das zu verschleiern werden vor einem Urnengang Shows mit eindrucksvollen Grafiken, geschönten Zahlen und Longchamps Lautmalerei abgezogen, die als exakte Momentaufnahme vermarktet werden. In Wirklichkeit sind die vor Abstimmungen vorgeführten Zahlen keine Umfrageergebnisse, sondern Longchamps spekulative Interpretation der Antworten von Befragten. Und vor Wahlen betreibt er im Wahlbarometer Variationen auf das letzte Wahlergebnis. Im Klartext: Statt Umfrageergebnisse vertreibt Longchamps Tipps - mit Wissen und Billigung der SRG.

 

E. Glückliche Symbiose als Kuhhandel.

Trotz Longchamps Fehlprognosen bei Abstimmungen praktizieren SRG und Longchamp eine glückliche Symbiose. Er benützt sie (die SRG) seit 1998 als Dukatenesel und Gratis-Werbeträger für sein Umfragegeschäft ( in der Tagesschau und in 10vor10). Wie erwähnt erzielte er 2009 nach eigenen Angaben 7% seines Umsatzes von 3.2 Millionen mit der SRG. Im Wahljahr 2007 waren es 17-18% (über eine halbe Million). Dafür liefert er ihr Feuerwerk und Petarden als Nervenkitzel für den Wahlkampf - Infotainment pur à la "Deal or No Deal". Vor einem Urnengang grassiert in Seldwyla der Zahlenhunger, welchen die SRG mit Zahlensalat aus der Hexenküche von Longchamp zu stillen weiss. Nicht zur Linderung der Hungersnot - der Nährwert der Umfrage ist ohnehin praktisch Null -, sondern aus purem Eigennutz. Die SRG braucht tolle Schlagzeilen, zur Wiederbelebung der Moral und Einschaltquote. Auch für Longchamp ging die Rechnung auf: Die SRG als Megaphon und Sponsor - die bestmögliche Werbung für sein privates Umfragegeschäft. Wenn die Wähler sich nicht an seine Prognosen halten, dann hat eben nach der Umfrage noch schnell ein Meinungsumschwung stattgefunden.

 

F. Die Zeche für den Kuhhandel

bezahlen jene, die auf den Zahlenzauber der SRG und Longchamp hereinfallen. Dazu gehören viele Wahlberechtigte und grosse Teile der classe politique. Nach der Annahme des Minarettverbotes rieb sich die Landesregierung verwundert die Augen, als wäre sie aus einem bösen Traum erwacht. Bundesrat Leuenberger führte im Nationalrat am 7.12.2009 seufzend aus:

"Auch der Bundesrat hat im Fall der Minarett-Initiative die Differenz zwischen Umfrage und Realität mit Erstaunen zur Kenntnis genommen und er erachtet sie angesichts der Tragweite von Abstimmungs-Ergebnissen als staatspolitisch gravierend."

 

G. Und die Moral von der Geschicht?

Die Geschichte hat keine Moral. Eine Hand wäscht die andere.

Wahlbarometer-Serie


1. Utopische Genauigkeit

Die SRG wünscht sich von Claude Longchamp exakte Zahlen. Bei Wahlen eine Nachkommastelle für Parteistärken. Unerwünscht ist alles, was den Glanz der vorgeführten Zahlen in Frage stellen könnte.


2. SRG-Wahlbarometer 2009: Parteien sind manisch-depressiv geworden

Am 3. September 2009 wurden in der Tagesschau die neuen Zahlen vorgeführt: "Schwächelnde SVP. Im SRG-Wahlbarometer verliert die Volkspartei 4.1 Prozent". Die SP habe 0.9% zugelegt, die CVP 0.8%, die Grünen 0.5%, während die FDP 1.0% verlor.

Das habe eine Umfrage bei 2035 Stimmberechtigen in der ganzen Schweiz ergeben. Nicht erwähnt wurde, dass der Verlust der SVP im wesentlichen auf einer Spaltung der SVP beruhte. SVP-Abtrünnige gründeten eine neue Partei (BDP), welche auf Anhieb auf 3.4% kam, also fast soviel wie die SVP verlor. Gut getarnt unter einer prächtigen Grafik mit markanten Säulen für Parteistärken war mikroskopisch klein "Fehlerbereich +/-2.2%" eingeblendet.

Im Klartext heisst dies: Wären 2035 andere Stimmberechtigte ausgelost und befragt worden, dann wären ganz andere Zahlen herausgekommen, die sich für jede Partei bis zu 4.4% unterscheiden können. Zum Beispiel kam die SVP gar nicht auf 24.8% und ebenso wenig die Grünen auf 10.1%. Unter Berücksichtigung der eingeblendeten Fehlermarge von +/-2.2% lautete das SRG-Umfrageergebnis für diese Parteien

und entsprechend für die andern. Natürlich wurde in der Tagesschau mit keinem Wort auf diesen - für den normalen Zuschauer atemraubenden - Fehlerbereich hingewiesen, denn sonst hätte die Moderatorin Katja Stauber augenzwinkernd beichten müssen:

"Fast alle Parteien sind seit Oktober 2007 manisch-depressiv geworden. Die Stimmungslage schwanke zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Das hänge davon ab, welche Stimmberechtigte Longchamp für seine Umfrage zufällig am Telefon erwischt habe."

"So verschlechterte oder verbesserte sich die SP von 19.5% auf irgendwo zwischen 18.2% und 22.6%, die FDP (inkl. Liberale) von 17.7% auf irgendwo zwischen 14.5% und 18.9%, die CVP von 14.5% auf irgendwo zwischen 13.1% auf 17.5% und die Grünen von 9.6% auf irgendwo zwischen 7.9% und 12.3%."

"Einzig die SVP ging wegen dem Rauswurf von Widmer-Schlumpf von 28.9% auf irgendwo zwischen 22.6% und 27.0% zurück. Auf eigenen Füssen kam die fremdgekürte Bundesrätin dank Zulauf auf irgendwo zwischen 1.2% und 5.6%."

Fazit: Die Umfrage von Longchamp lieferte einzig das Resultat, dass mit Ausnahme von SVP (und BDP) jede Partei entweder gewonnen oder verloren hat oder unverändert geblieben ist. Nur, wer hat das nicht gewusst? Wer braucht für diese Weisheit eine Umfrage aus dem "Forschungs"-Institut von Longchamp?

3. Der unbezahlbare Preis für eine höhere Genauigkeit

Der Fehlerbereich ist, wie im Folgenden gezeigt wird, allein wegen der Zufallsauswahl der Befragten weit grösser als die von Longchamp eingeräumten +/-2.2%. Aber auch mit +/-3% wäre kein Staat zu machen, denn mit einem Wahlbarometer der Form

SVP 22-28%, SP 18-24%, FDP 13-19%, CVP 12-18% und Grüne 7-13%

dürfte im Schweizer Fernsehen nur Viktor Giacobbo auf Sendung gehen. Allerdings nicht in der Tagesschau, sondern in Comedy.

Soll der Fehlerbereich verkleinert werden, dann müssen sehr viel mehr Wahlberechtigte (genauer Teilnahmewillige) befragt werden!

Claude Longchamp hat seine Vorstellungen über die Grösse des Fehlerbereiches in Abhängigkeit von der Anzahl der ausgelosten Befragten der SRG 2005 mit folgender Grafik klar gemacht (Wahlbarometer 2005 - Präsentation S. 19):

 


Bei 100 Befragten (bzw. Teilnahmewilligen) beträgt der Fehlerbereich +/-10%, bei 1000 +/-3.2%, bei 2000 +/-2.2%, bei 4000 +/-1.6% und bei 8000 +/-1.1%. Erst bei zehntausend Teilnahmewilligen würde sich der Fehlerbereich für die Parteistärken auf +/-1.0% reduzieren, bei einer Wahlbeteiligung von 50% müssten also zwanzigtausend Stimmberechtigte befragt werden. Doch wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?

Nun werden Parteistärken im Wahlbarometer auf Promille genau angegeben. Wieviele Wahlberechtigte bzw. Teilnahmewillige dafür befragt werden müssten, kann man Longchamps Grafik nicht entnehmen. Hier hilft ein Gesetz aus der mathematischen Statistik weiter. Will man den Fehlerbereich halbieren (z.B von +/-2.2% auf +/-1.1%), muss die Zahl der Befragten vervierfacht werden (von 2000 auf 8000). Will man ihn um den Faktor drei verkleinern, sind neun Mal mehr Befragte erfordelich. Soll der Fehlerbereich um den Faktor zehn verkleinert werden - z.B. von +/-1% auf +/-1 Promille -, dann sind hundert Mal mehr Befragte erforderlich. Das kann man auch Longchamps Grafik entnehmen: Bei 100 Befragten beträgt der Fehlerbereich +/-10%, bei 10000 dagegen +/-1.0%. Bei 50 Teilnahmewilligen +/-14%, bei 5000 +/-1.4%.

Für eine Genauigkeit der Parteistärken auf +/-1% sind, wie bereits erwähnt, zehntausend Teilnahmewillige zu befragen. Um die vorgetäuschte Genauigkeit von einem Promille zu erreichen, müssten nochmals 100 Mal mehr Wahlberechtigte befragt werden, also eine Million Teilnahmewillige bzw. zwei Millionen Stimmberechtigte. Das sind nun einmal die Gesetze der mathematischen Statistik. Abgesehen davon dürfte die Durchführung einer Volksabstimmung billiger sein ...

SRG und Longchamp haben gemeinsam einen Ausweg aus diesem Dilemman gesucht und auch gefunden: Wunschdenken und Schlitzohrigkeit.

4. Longchamps statistisches Wunschdenken

Longchamps Vorstellungen über die Auswirkungen der Zufallsauswahl auf das Umfrageergebnis sind in seinen Berichten für die SRG zu finden, welche im Internet frei zugänglich sind. Nachdem er der SRG 2005 ins Stammbuch schrieb, Parteistärken seien mit Prozentzahlen ohne Nachkommastelle anzugeben (Wahbarometer Präsentation S. 20)


behauptet er neuerdings, der angegebene Fehlerbereich von +/-2.2% suggeriere zu grosse Unsicherheiten. Tatsächlich würden bereits Änderungen der Parteistärken im Bereich von +/-0.5% bis +/-1.0% leichte Gewinne bzw. Verluste signalisieren. Nur aus kleinen Veränderungen (bis +/-0.5%) lasse sich kein Trend ablesen, was er den Parteien mit der Zeugnisnote "Halten" bescheinigt. Ab +/-1.0% würden Verluste und Gewinne vorliegen. Die Zeugnisnoten übermittelte er der SRG eigens mit einer bunten Grafik (Umfragebericht S. 10):

Abgesehen davon dass seine Aussagen statistisch absurd sind und seinen obigen Angaben (siehe Grafik "maximaler Stichprobenfehler..") widersprechen, zeigen seine Zeugnisnoten, dass er auch mit der Nachkommastelle von Prozentzahlen Probleme hat. Nach seiner Notenskala hätten SP (+0.9%) und CVP (+0.8%) die Zeugnisnoten "leichte Gewinne" bekommen müssen, die FDP (-1.0%) dagegen "leichte Verluste". Stattdessen scherte er alle über einen Kamm und gab ihnen die Note "Halten". Was steckt dahinter? Rechenschwäche oder statistische Gewissensbisse?

5. Je mehr Nichtwähler befragt werden, desto genauer die Umfrage!

Longchamp mag behaupten, die oben erwähnte Tagesschau-Show sei auf dem Mist der SRG gewachsen. Er hätte in seinem Umfragebericht (Seite 5) die Ungenauigkeit mit +/-2.2% angegeben:

Für den Laien klingt das wissenschaftlich, wenn auch unverständlich. Für einen Statistiker hingegen ist das reine Hochstapelei. Denn sein Fehlerbereich von +/-2.2% bei 2035 Befragten basiert auf der Binomialverteilung und ist an zwei Voraussetzungen gebunden:

1. In der Schweiz gibt es nur zwei Parteien A und B und der Fragebogen enthält nur die eine Frage: "Stimmen Sie für A oder B?" Weitere Fragen sind nicht zugelassen, ebensowenig die Antwort "weiss nicht".
2. Die 2035 Befragten stellen eine reine Zufallsauswahl aus allen schweizerischen Stimmberechtigten dar.

Über die Absurdität von 1. braucht man sich weiter aufzuhalten, aber sie gehört nun einmal zum statistischen Weltbild von Longchamp. Fairer Weise ist anzumerken, dass dieser Aberglauben bei Politologen weit verbreitet ist und in deren Lehrbüchern in Stein gemeisselt ist. Es wird unbekümmert eine Formel aus der Statistik verwendet (Binomialverteilung), aber man foutiert sich um die äusserst restriktiven Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit.

Die Statistik stellt der Politologie durchaus auch Formeln für drei, vier, fünf .... Parteien zur Verfügung (Multinomialverteilungen), aber diese bescheren den Politologen deutlich grössere Fehlerbereiche. Denn je mehr Parteien auf dem Fragebogen stehen, desto grösser wird der Fehlerbereich. Bei drei Parteien vergrössert sich der Fehlerbereich (im Vergleich zu zwei Parteien) um 20%, bei vier um 25%, bei fünf um 30% und bei zehn sogar um 40%.

Was die unterstellte Zufallsauswahl der 2035 Befragten aus allen Stimmberechtigten der Schweiz betrifft, weiss Longchamp sehr wohl, dass dies nicht der Fall ist und auch gar nicht der Fall sein kann. Er versucht in der Deutschschweiz rund 1000 Stimmberechtigte zufällig auszuwählen, in der Westschweiz 600 und im Tessin 400. Selbst wenn ihm das gelungen wäre, können diese 1000+600+400 Befragten unmöglich eine Zufallsauswahl aus den Stimmberechtigten der Schweiz sein. Denn eine reine Zufallsauswahl würde ungefähr die tatsächlichen Grössenverhältnisse der drei Sprachregionen widerspiegeln, d.h. etwa 5% Tessiner und etwa 20% Westschweizer und etwa 75% Deutschschweizer, aber niemals 20% und 30% und 50% wie bei Longchamp.

Aber selbst wenn es in der Schweiz nur zwei Parteien geben würde und seine 2035 Befragten eine Zufallsauswahl gewesen wären, würde der Fehlerbereich mitnichten +/-2.2% betragen. Um seine Manipulationen zu durchschauen, muss man mehr als seine Zusammenfassung und seine "Hauptergebnisse" lesen. Auf Seite 8 findet man unter "Die Befunde" kleinlaut das Eingeständnis, die Wahlbeteiligung betrage 30%!



Auf Seite 9 findet man in der Grafik 4 gut versteckt die Zahl 714 (anstatt 2035).


Abgesehen von dem kleinen Schönheitsfehler, dass 30% von 2035 normalerweise 610 ergibt und nicht 714, heisst dies, dass er den Grossteil der 2035 Befragten als Nichtwähler eingestuft hat. Die Parteistärken hat er nur mit den Angaben dieser 714 Stimmberechtigten berechnet, was den Fehlerbereich massiv vegrössert, nämlich auf +/-3,7%. Diese Zahl kann man seiner obigen Grafik entnehmen. Bei 500 Teilnahmewilligen beträgt der Fehlerbereich nämlich +/-4.5%, bei 1000 +/-3.2%. Der Fehlerbereich für 714 liegt ungefähr in der Mitte dazwischen - also bei ca. +/-3.7%. Diesen Wert produziert auch sein Fehlerquotenberechner (Man klicke die Rubrik "Wissenwertes zur Statistik" an und dann "Vetrauensintervall berechnen" und tippe im Menue ein: Anzahl Fälle 714, Prozent 50. Longchamp tippte 2035 und 50% ein und kam so auf +/-2.2%.). Das Longchampsche Umfrageresultat auf der Basis von 714 Teilnahmewilligen hätte also lauten müssen

SVP 21.1 - 28.5%
SP 16.7- 24.1%
FDP 13.0 - 20.4%
CVP 11.6% - 19.0%
Grüne 6.4 -
13.8%

Wenn er seine Zahlen der SRG in dieser Form vorgelegt hätte, hätte ihn diese entweder eine Blutprobe abgenommen oder ihn in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Durch den Einbezug von Nichtwählern hat er den Stichprobenumfang massiv aufgebläht und so die Ungenauigkeit von +/-3.7% auf +/-2.2% herunter gemogelt. Tatsächlich beträgt die durch die Zufallsauswahl der Befragten verursachte Ungenauigkeit mehr als +/-4%.

Wie man sieht, operiert er bei der Umfrage-Genauigkeit mit der Methode

Würde man zum Beispiel eine Million Stimmberechtigte befragen, unter denen sich nur ein Wähler befindet, dann würde die Ungenauigkeit offensichtlich gegen 100% betragen. Nicht so bei Longchamp: Bei ihm wäre sie praktisch 0%!

Eine ähnliche krumme Tour macht Longchamp mit den gut 400 bzw. 600 Befragten aus der italienisch- bzw. französischsprachigen Schweiz, die in seinem "repräsentativen" Querschnitt von 2035 Befragten massiv übervertreten sind. Bei seiner Berechnung der Fehlermarge ignoriert er das und zählt die "Tessiner" und Westschweizer voll mit. Würde er alle teilnahmewilligen "Tessiner" und alle Westschweizer befragen, was ihm einen "repräsentativen" Querschnitt von über einer halben Million bescheren würde, dann produziert sein Fehlerquotenberechner einen Fehlerbereich von +/-0.1% - unabhängig von der Anzahl der befragten Deutschschweizer! Als könnten Tessiner und Westschweizer die Fehler der Zufallsauswahl bei den Deutschschweizern kompensieren.

6. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing": Auf ausdrücklichen Wunsch der SRG mutiert Longchamp zum Gaukler, der auf einer Sonnenuhr Sekundenbruchteile abliest.

Im Wahlbarometer 2005 ( Präsentation S. 20) hatte Longchamp der SRG noch die Stirn geboten und gab Parteistärken mit ganzen Prozentpunkten an:

In die Umgangssprache übersetzt heisst der erste Punkt: Die durch die Zufallsauswahl der Befragten verursachten Fehler sind meist grösser als die Veränderungen der Parteistärken von einer Nationalratswahl zur nächsten. Folglich kann man mit Umfragen nichts über den Trend der Parteistärken aussagen. Der dritte und vierte Punkt besagen, dass die Angabe von Parteistärken mit Nachkommastelle - und erst recht deren Veränderung von einer Umfrage zur nächsten - Scharlatanerie ist.

Für die Nationalratswahlen 2007 beugt er sich dem Genauigkeits-Fimmel der SRG und rüstet die Parteistärken mit einer Nachkommastelle auf. In der Tagesschau und in 10vor10 tritt er cool als Gaukler auf, der auf einer Sonnenuhr Sekundenbruchteile abliest. Seine Show müsste eigentlich heissen "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing". Longchamp sieht das ähnlich, aber er drückt es mit versöhnlichen Worten aus: .

"Das (die Nachkommastelle) geschieht auf ausdrücklichen Wunsch der SRG".
Nachzulesen in seinem technischen Bericht an die SRG vom 6.10.2006 (S. 8, 2. Absatz)

7. SRG-Wahlbarometer ist reine Augenwischerei

Auf Geheiss der SRG hat Longchamp in neun Wahlbarometern 2007 nicht nur die Parteistärken auf Promille genau angegeben, auch deren Auf und Ab wurde von ihm "gelehrt" mit politischen Ereignissen in Verbindung gebracht. Dies, obwohl die von ihm vorgeführten Veränderungen regelmässig unter einem Prozent lagen! Höhepunkt der Scharlatanerie von Longchamp war das 7. Wahlbarometer mit dem Paukenschlag

Damit haben SRG und Longchamp eine Debatte über die Sitzverteilung im Bundesrat losgetreten. Da die CVP nun stärker als FDP sei, könne sie Anspruch auf einen der beiden FDP-Sitze erheben. Dabei betrug der Vorsprung der CVP auf die FDP sagenhafte drei Promille! Wieviel Promille Longchamp hatte, wurde im Wahlbarometer nicht verraten.
Fazit: Die Wahlbarometer-Show 2007 war reine Augenwischerei. Für die Nationalratswahlen 2011 wird es im gleichen Stil weitergehen.

8. Longchamps Zahlen sind als Umfrageergebnisse getarnte Tipps

Wie er seine Zahlen fabriziert, blieb immer sein Geheimnis. Dass an seinen Zahlen etwas faul ist, sieht das Auge eines Statistikers an den kleinen Veränderungen von einer Umfrage zur nächsten, die meist unter einem Prozent liegen. Diese sind nämlich kein Gütesiegel für "Präzisionsmessungen", sondern das untrügliche Symptom für Manipulation - wie Fingerabdrücke auf Diebesgut. Wenn nämlich - wie im Wahlbarometer - nur 1000 zufällig ausgewählte Deutschschweizer, 600 Westschweizer und 400 Tessiner befragt werden, dann tritt oft von einer Umfrage zur nächsten bei mindestens einer Partei eine erdrutschartige Veränderung auf (+/-3% und mehr). Das ist eine zwangsläufige Folge der Zufallsauswahl, was nur durch eine massive Erhöhung der Anzahl der Befragten verhindert werden könnte. Weil solche Sprünge unplausibel sind und die Glaubwürdigkeit des Wahlbarometers in Frage stellen würden, werden sie (die Sprünge) von Longchamp wegretouchiert. Sein Wahlbarometer-Zahlenwerk zeugt von reiner Handarbeit!

Die SRG steckt den Kopf in den Sand und lässt ihn gewähren. Müsste er seine Datensätze vollständig offen legen, würde für jedermann klar, was Insider schon lange wissen: Die im Schweizer Fernsehen zur Schau gestellten Zahlen sind keine Umfrageergebnisse, sondern Tipps von Longchamp! Der Historiker Longchamp bestreitet das nicht, nur hat er dem Kind einen andern Namen gegeben: Das Fälschen von Umfrageeegebnissen nennt er "Gewichten" nach seinen "Geheim-Methoden". O-Ton Longchamp auf Demoskopisch (Umfragebericht Seite 6):

9. Longchamp digitalisiert sein Bauchgefühl

Die Digitalsierung des Bauchgefühls ist von Noelle-Neumann in Deutschland salonfähig gemacht worden. Geschäftsgrundlage für Prognosen in Deutschland und der Schweiz ist die politische Stabilität. Die tatsächlichen Umfrageergebnisse werden euphemistisch als "Rohergebnisse" bezeichnet, die einer Nachbehandlung bedürfen. Frühere Wahlresultate werden "Handgelenk mal Pi" fortgeschrieben und als neue Umfrageergebnisse verkauft, wobei zwischenzeitliche Landtagswahlen in Deutschland bzw. kantonale Wahlergebnisse in der Schweiz klammheimlich einfliessen. In Deutschland heisst dieses Handwerk "Politische Gewichtung", Longchamp nennt es "Recall-Gewichtung" (Recall = Erinnerung an das Ergebnis der letzten Nationalratswahlen). Auf diese Weise werden die methodenbedingten Ungenauigkeiten von Umfragen kaschiert. Wegen der Auswirkungen auf das kommerzielle Umfragegeschäft können Meinungsforscher nämlich unmöglich eingestehen, dass sie ihren Umfrageergebnissen vor Wahlen nicht über den Weg trauen und sich für Prognosen lieber auf ihr Bauchgefühl verlassen ...

 

10.

Longchamps Minarett-Prognose und weshalb er auf die Nase fiel weiter.


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