VI. Die Mehrheitsfrage unter Berücksichtigung der 5%-Klausel

Unter Berücksichtigung der 5%-Klausel verkompliziert sich die Frage nach der Mehrheitsbildung beträchtlich, weil gleichzeitig zwei voneinander abhängige Merkmale betrachtet werden müssen. Es reicht nämlich nicht mehr aus, daß wir nur unterstellen, daß die Koalition die Mehrheit - z.B. 51% - gewinnt, wenn sich diese Mehrheit beispielsweise aus einem CDU/CSU-Anteil von 47% und einem FDP-Anteil von 4% zusammensetzt. Deshalb müssen die beiden Merkmale, daß erstens CDU/CSU und FDP zusammen mehr als 50% der gültig abgegebenen Stimmen erhalten haben und zweitens die FDP mehr als 5% der Stimmen erhalten hat, in den Berechnungen berücksichtigt werden.

Angenommen, die CDU/CSU habe tatsächlich 45% und die FDP 5% der Stimmen erhalten. Dann stellt sich die Frage, wie viele der repräsentativen 1000er-Querschnitte genau 450 CDU/CSU- und 50 FDP-Stimmzettel enthalten, also genau das Wahlergebnis für beide Parteien reproduzieren.

Die Beantwortung dieser Frage ist sowohl durch theoretische Berechnung mit der Trinomialverteilung als auch durch Simulation möglich. Während nach Abschnitt IV rund 6% aller repräsentativen 1000er Querschnitte genau 50 FDP-Stimmen und nach Abschnitt V rund 2,5% genau 450 CDU/CSU-Stimmen aufweisen, haben nur 0,15% aller repräsentativen Querschnitte die Eigenschaft, daß sie sowohl exakt 50 FDP-Stimmen als auch genau 450 CDU/CSU-Stimmen enthalten. Bei häufiger Auslosung von repräsentativen Querschnitten wird im Durchschnitt demnach nur jeder 670-te das tatsächliche Ergebnis von 45,0% für die CDU/CSU und 5,0% für die FDP reproduzieren. Ferner wird fast jede Kombination von k1 CDU/CSU-Stimmen und k2 FDP-Stimmen, wobei

438 £ k1 £ 462 und 45 £ k2 £ 55

mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen einem Tausendstel und 1/670 auftreten. Eine Meinungsumfrage vom Umfang 1000 ist also ein extrem unzuverlässiges Mittel zur gleichzeitigen Bestimmung des exakten CDU/CSU- und FDP-Anteils. Wie man hieraus sieht, besteht nicht der geringste Grund, die per Meinungsumfrage ermittelten Werte für FDP und CDU/CSU als die tatsächlichen Ergebnisse hinzustellen, die gefundenen Werte treffen nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu.

Auf die Ausgangsfrage bezogen kann man folgende Resultate herleiten:

Unter der Annahme, daß die CDU/CSU tatsächlich 45% und die FDP 5% der Stimmen erhalten haben, täuschen 67% (!) aller repräsentativen Querschnitte eine Niederlage der Koalition vor (ohne Berücksichtigung der 5%-Klausel wären es nur 48,7% gewesen).

Haben CDU/CSU 46% und FDP 5% der Stimmen erhalten, so täuschen 50% der repräsentativen Querschnitte eine Niederlage der Koalitionsparteien vor (ohne Berücksichtigung der 5%-Klausel wären es nur 25,3% gewesen).

Setzt man voraus, daß CDU/CSU 47,4% und FDP 5,6% der Stimmen erhalten, so täuschen 10% der Querschnitte eine Niederlage der Koalitionsparteien vor (ohne Berücksichtigung der 5%-Klausel wären es nur 2,7% gewesen).

Die übliche statistische Sicherheit beträgt 95% : Bei dieser Problemstellung dürfen also nur 5% der repräsentativen Querschnitte der Koalition fälschlicherweise eine Niederlage prognostizieren. Im folgenden sind einige Kombinationen von Parteianteilen aufgeführt, für die dies zutrifft.

Anteil der falsch negativen repräsentativen Querschnitte:

CDU/CSU

49,5%

49,0%

48,6%

47,2%

46,8%

46,1%

FDP

5,0%

5,3%

5,5%

6,0%

6,2%

6,6%

KOALITION

54,5%

54,3%

54,1%

53,2%

53,0%

52,7%

bei Berücksichtigung
der 5%-Klausel:

5 %

5 %

5 %

5 %

5 %

5 %

ohne Berücksichtigung der 5%-Klausel:


0,2%

0,3%

0,4%

2,0%

2,7%

4,1%

Hat beispielsweise die CDU/CSU 49,5%, die FDP 5,0% der gültig abgegebenen Stimmen erhalten, so täuschen mit Berücksichtigung der 5%-Klausel 5%, ohne deren Berücksichtigung dagegen nur 0,2% der repräsentativen Querschnitte der Koalition eine Niederlage statt eines Sieges vor.

Bei den vorhin beschriebenen Fehlerraten kann man sich ebensogut auf sein Gefühl oder den Kaffeesatz verlassen und die fünf- bis sechsstelligen Beträge für eine Wahlprognose sparen.

Generell gilt: Je detaillierter die Auskunft einer Prognose sein soll, desto schlechter wird ihre statistische Zuverlässigkeit.

 

 

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